Arthur-Kronthal-Preis


Arthur Kronthal

Arthur Kronthal als Posener Stadtrat 


Über den Preis

Der Arthur-Kronthal-Preis wird seit 2012 alle zwei Jahre für eine herausragende Arbeit verliehen, die in den zurückliegenden beiden Jahren im Forschungsgebiet der Kommission publiziert worden ist. Die Auswahl nimmt eine Jury vor, die sich aus dem Vorstand sowie einem weiteren fachlich ausgewiesenen Kommissionsmitglied zusammensetzt.

Namensgeber des Preises ist der ehemalige Stadtrat, Kultur- und Sozialmäzen Arthur Kronthal (1859-1941), der aus einer alteingesessenen jüdischen Familie der Stadt Posen stammte, langjähriges aktives Mitglied der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen war und sich große Verdienste um die Stadtentwicklung und die deutsch-polnisch-jüdische Verständigung erworben hat (siehe dazu den unten stehende Text).

Der Preis ist derzeit mit 500 Euro dotiert. Das Auswahlverfahren regelt ein Statut.

Statut

Preisträgerinnen und Preisträger

2012: Catherine Epstein

2014: Anna Moskal

2016: Bernard Linek / Andrzej Michalczyk

2018: Katarzyna Zimmerer 

2020: Karolina Kuszyk

2022: Marta Kuc-Czerep

Hintergrund

Rede, gehalten von Matthias Barelkowski anlässlich der erstmaligen Verleihung des Arthur-Kronthal-Preises 2012 in Krakau

1. Wer war Arthur Kronthal?

Zunächst soll Arthur Kronthal mit einem für die „Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen“ verfassten Lebenslauf selbst zu Wort kommen, den diese anlässlich seines 70. Geburtstages 1929 zusammen mit einem Schriftenverzeichnis abdruckte:

„Geboren am 25. November 1859 als Sohn des Fabrikbesitzers und Stadtrats Wolf Kronthal in Posen aus einer altansässigen Familie, besuchte das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium seiner Heimatstadt, vollendete seine gymnasiale Ausbildung in Breslau, studierte kurze Zeit das Maschinenbaufach, machte seine kaufmännische Lehrzeit in Berlin durch, erlernte praktisch die Tischlerei und Drechslerei in der väterlichen Fabrik in Rawitsch, leistete seinen Militärdienst und spätere Übungen in Posen ab und trat dann in das von seinem Großvater S. Kronthal 1820 begründete und von seinem Vater und Oheim unter der Firma S. Kronthal und Söhne in Posen betriebene Fabrikunternehmen, das später stark ausgebaut wurde, ein. Infolge einer glücklich verlaufenen Operation, die jedoch mit einem Rückschlag drohte, übergab er sein Geschäft seinem Vetter und widmete sich ausschließlich seinen Ehrenämtern als Handelsrichter, Stadtrat, in den Kuratorien staatlicher und provinzieller Institute für Kunst und Wissenschaft, als leitendes Vorstandsmitglied in zahlreichen Vereinigungen wissenschaftlicher, künstlerischer, sozialer und wohltätiger Art. Er hat auf viele Posener Kunstschätze hingewiesen und sie erschlossen, durch seine Kronthal-Stiftung dem Kaiser-Friedrich, dem jetzigen Großpolnischen Museum die Anschaffung einer Reihe wertvoller Gemälde ermöglicht, das Hindenburg-, das jetzige Heeresmuseum begründet. Als nach dem Umsturz seine Versuche, in Posen eine Erwerbstätigkeit zu finden, ergebnislos verliefen, war er gezwungen, 1921 nach Berlin auszuwandern, wo er in einem großen Unternehmen tätig war, bis er infolge einer zunehmenden Herzkrankheit auch diese Tätigkeit 1927 aufgeben musste. Verschiedene Ehrungen wurden ihm zuteil, u.a. ernannte ihn die Historische Gesellschaft für Posen zum Ehrenmitglied.“[1]

Ergänzt werden sollen diese recht spärlichen Angaben im Folgenden mit aus verschiedenen Quellen ermittelten Informationen bis zu seinem Tod 1941.

Arthurs Mutter Pauline, geb. Heilbronn, stammte ebenfalls aus der Region Posen und gebar noch vier weitere Kinder.

Verheiratet war Arthur mit Martha, geb. Lissner. Aus der Ehe gingen 3 Kinder hervor. Sein einziger Sohn Walter scheint frühzeitig nach Mexiko ausgewandert zu sein, seine Tochter Gertrud heiratete in die Remak-Familie ein und emigrierte später in die USA, eine zweite Tochter ist möglicherweise im Ersten Weltkrieg als Rotkreuzschwester umgekommen.

Nach seinem Weggang aus Posen 1921, mit der die Geschichte der Kronthals in der großpolnischen Hauptstadt endete, wohnte Arthur in einer Berliner Villensiedlung vor dem Halleschen Tor (Stadtbezirk Kreuzberg) und war aktiv in Vereinigungen ehemaliger Posener engagiert, darunter im jüdisch geprägten „Verband Posener Heimatvereine“.

Seit 1932, vermutlich nach dem Tod seiner Frau, lebte der ehemalige Stadtrat im jüdischen Altersheim in der Berkaer Straße in Berlin.

Wir wissen nicht viel über seine letzten Lebensjahre. Vermutlich hat er sie in großer Einsamkeit verbracht. Seine Kinder waren emigriert, seine bisherige Lebenswelt brach nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nach und nach zusammen. Zu seinem 80. Geburtstag im November 1939 erschienen keine Würdigungen mehr. Einige Posener Mitglieder der Historischen Gesellschaft, die ihn 1929 noch zum Ehrenmitglied gemacht hatten, stolzierten zu diesem Zeitpunkt wohl gerade in ihren schmucken neuen SS-Uniformen durch das von Deutschen besetzte Posen. Er hat sich selbst – soweit wir wissen – nie publizistisch zum Nationalsozialismus und zum Zweitem Weltkrieg geäußert.

Er starb, wie aus den Unterlagen des jüdischen Friedhofs in Berlin-Weißensee hervorgeht, am 4. November 1941[2]. Wir wissen nicht, ob er durch Selbstmord, wie ihn viele Juden in jenen Tagen verübten, oder ob er an Krankheit und Alter gestorben ist.

Zur Einordnung des Todesdatums seien nur zwei Daten aus der Geschichte der Vernichtung der deutschen Juden genannt: ab 19. September 1941 galt im „Altreich“ die Kennzeichnungspflicht für Juden, d.h. der „Gelbe Stern“ musste getragen werden. Der erste Deportationszug aus Berlin ging am 18. Oktober 1941 vom Bahnhof Grunewald mit 1013 Personen ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz).

Von den oben erwähnten zahlreichen ehrenamtlichen Aktivitäten Kronthals in Posen seien hier nur zwei Projekte konkret erwähnt. Zum einen die Errichtung des Kronthal-Brunnens aus den Mitteln einer Stiftung seines Onkels Gustav, die Arthur als Stadtrat und Magistratsmitglied stark förderte. Die Einweihung erfolgte 1909. Der Brunnen, der sich an der Kreuzung al. Marcinkowskiego/ul. 23 Lutego befindet, ist heute wieder in restaurierter Form zu bewundern. Bisher fehlt leider am Brunnen selbst ein Hinweis auf die Stifterfamilie.

Zum anderen zu erwähnen ist die Errichtung eines Lehrlingswohnheims für den Verein junger Kaufleute, die von ihm stark gefördert wurde. Der Verein hatte 65 % evangelische, 20%  jüdische und 15 % katholische Mitglieder.

2. Sein Werk und seine Ansichten

Bis zu seinem 70. Geburtstag veröffentlichte Kronthal über 130 Beiträge, darunter zahlreiche populärwissenschaftliche Texte zu kunstgeschichtlichen Fragen und biographische Studien. Ein Höhepunkt seiner Publikationstätigkeit war sicher die Darstellung der eigenen Familiengeschichte in den „Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Familienforschung“, dank derer wir heute vieles über die Lebenswelt der Posener Juden wissen. Kronthal hat die Gesellschaft selbst mitbegründet und ihr auch das Familienarchiv überantwortet, das heute jedoch als verloren gelten muss.[3]

Ausdruck seiner Haltung zur deutsch-polnischen Problematik nach dem Ersten Weltkrieg war die Beschreibung eines Besuchs in der alten Heimat Ende 1929. Er versuchte darin, einen unvoreingenommenen Blick zu wagen und würdigte auch den Ausbau der Stadt:

„Bei der Ordnung und Sauberkeit, der man nicht nur in der Ausstellung, sondern auch in der Stadt selbst überall begegnet, wäre es endlich an der Zeit, mit dem abfälligen Werturteil, das in der alten Redensart von der ‚Polnischen Wirtschaft’ liegt, aufzuhören. Gewiß hatte dies Wort vom Ende der Regierungszeit Johann Kasimirs ab volle Geltung. Bei allem, was man aber jetzt in der Landesausstellung und der Stadt Posen selbst sieht, hat die Redensart im bisher gebrauchten Sinne keine Berechtigung mehr.“[4]

Dieser Beitrag unterscheidet sich erheblich von den sonst üblichen Elaboraten, etwa eines Manfred Laubert, die alles Polnische als minderwertig verdammten. Dass Kronthal auch von polnischen Historikern durchaus geschätzt wurde, lässt sich daran ablesen, dass sein Lebensbild des ehemaligen Posener Oberbürgermeisters Richard Witting, das 1930 auf Deutsch erschien, umgehend ins Polnische übersetzt und in der „Kronika Miasta Poznania“ veröffentlicht wurde.[5]

Kronthals letzte Veröffentlichungen finden sich in jüdischen Zeitschriften, die im Angesicht der heraufziehenden Katastrophe tragisch-grotesk wirken. So beschäftigte er sich in seinem vermutlich letzten Beitrag, der Anfang 1938 im „Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur“ erschien, mit dem berühmten Arzt Robert Remak, den er meinte, gegen polnische Vereinnahmungsversuche in Schutz nehmen zu müssen.[6]

3. Warum ein Arthur-Kronthal-Preis?

Kronthal hat sich als Regionalhistoriker und ehrenamtlicher Stadtrat lange Jahre in Posen für die Belange seiner Heimatstadt engagiert. Er sprach – anders als viele Posener Deutsche und Juden – Polnisch, hatte eine Blick für die soziale Welt seiner Heimatstadt und zeigte – wie wir heute sagen würden – zivilgesellschaftliches Engagement.

Max Golde würdigte seinen Freund Arthur Kronthal zu dessen 70. Geburtstag wie folgt:

„Seine Vertrautheit mit den öffentlichen und geheimen Beziehungen und Bestrebungen der verschiedenen Gesellschaftsklassen der zweisprachigen Grenzmark verleihen seiner Darstellung einen hohen Grad von Innerlichkeit und sachlicher Wirklichkeit, so daß sie auch dem wissenschaftlichen Forscher beachtenswert erscheinen.“[7]

Er hat in seinen zahlreichen Publikationen die Positionen eines national-liberalen deutschen Juden vertreten, sich etwa für die Generale Hindenburg und Gneisenau begeistert. Er war – das zeigen die beiden letzten Beispiele – sicher nicht frei von Nationalismus und antipolnischen Ressentiments, hat aber doch anders alle viele Andere nicht alles Polnische in Bausch und Bogen verdammt, sondern zumindest versucht, in einer nationalistisch aufgeladenen Zeit den Blick über den nationalen Zaun zu wagen und allen Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden.

Er endete als Jude geächtet und von den ehemaligen Freunden und Wegefährten verlassen – sein Grab auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee ist heute zwar noch vorhanden, aber nicht mehr kenntlich.

Mit der Benennung des Preises nach ihm will die Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen an einen engagierten Posener Bürger erinnern, dem wir viel regionalgeschichtliches Detailwissen verdanken, was heute zunehmend auch in polnischen Darstellungen gewürdigt wird.[8]

Kronthal war wohl einer der letzten Posener Juden, der aus eigener Anschauung und aufgrund seiner Familiengeschichte noch einen Blick hatte für die multiethnische und multireligiöse Geschichte der Stadt – mit all ihren Verwerfungen, aber auch Reichtümern. In Zeiten einer immer wieder von nationalistischen Störfeuern begleiteten deutsch-polnischen Annäherung sollte sein Wirken daher nicht vergessen werden.


[1] Lebenslauf und Publikationsliste Kronthals finden sich in: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen Heft 18 (1930), S. 143-149.

[2] Dies resultiert aus den erhaltenen Unterlagen der Friedhofsverwaltung.

[3] Arthur Kronthal, Aus einem jüdischen Leben des vorigen Jahrhunderts, in: Jüdische Familienforschung 6 (1930), Hefte 22, 23, 24, S. 234-247, 271-282, 298-303.

[4] Arthur Kronthal, Ein Besuch in der alten Heimat, in: Posener Heimatblätter, Sonderbeilage, Dezember 1929.

[5] Arthur Kronthal, Ryszard Witting. Szkic biograficzny, in: Kronika Miasta Poznania 8 (1930), Nr. 4, S. 343-355.

[6] Arthur Kronthal, Aus der Frühzeit Robert Remaks, in: Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur,  31 (1938), Nr. 1, S. 286-295.

[7] Max Golde, Arthur Kronthal zu seinem 70. Geburtstag, in: Posener Heimatblätter 4 (1929), Nr. 3, S. 19-20.

[8] Vgl. etwa Rafał Witkowski, Juden in Posen. Führer zu Geschichte und Kulturdenkmälern, Poznań 2012, S. 61.